Buchvorstellung: "Das Geheimnis der Gräser" - Teil 2

Valerie Forster, Buchvorstellung, Die Krokuswiese

Leseprobe

Eine Wanze lebte auf dem einzigen Ampfer, den es in der Nähe gab. Es war ein überaus trockener Sommer und dieser Ampfer eine der letzten grünen Pflanzen, die es auf der Wiese überhaupt noch gab. Alle Gräser und Blumen waren bereits braun, schrumpelig oder verdorrt. Die Wanze war sehr sparsam und ernährte sich jeden Morgen von nur drei Tautröpfchen. Dies war viel zu wenig für eine ausgewachsene Lederwanze, die jeden Tag ein Vielfaches an Pflanzensaft zu sich nehmen müsste. Deshalb war sie auch sehr geschwächt. Aber sie wusste, dass das Wohl der Pflanze entscheidend für ihr Überleben war. Den restlichen Tau überließ sie darum gerne dem Ampfer. Die Wanze wollte, dass es der Pflanze, auf der sie lebte, gut ging. Dafür war sie bereit, einiges zu opfern. Nur wenn es dem Lebensraum der Pflanze gut ging, würde es auch ihr gut gehen. Lieber hielt sie sich selbst zurück, als dass sie alles verlor.

 

"Warum bist du so dürr und schwach?", fragte eine Schnecke, die im Schatten des Ampfers Schutz suchte.

"Weil ich nie meinen Hunger stillen kann", sagte die Wanze.

"Aber der Ampfer ist doch so groß. Warum isst du dich nicht satt?"

"Weil eines Tages nicht nur einzelne Blätter, sondern der ganze Ampfer vergangen sein könnte, so wie alle anderen Pflanzen", erwiderte die Wanze. "Dann wird eine große Not hereinbrechen. Deshalb ist es besser, ich verzichte, wo ich nur kann."

"Aber was hast du davon, wenn deine Gesundheit darunter leidet? Heute haben wir zu essen, also genieße es", sagte die Schnecke und biss genüsslich in ein grünes Blatt.

"Was tust du? Willst du uns beide umbringen?", protestierte die Wanze.

Aber die Schnecke hörte ihr überhaupt nicht zu und fraß den ganzen Ampfer allein.

 

Am nächsten Morgen hatte die Wanze keine Tautropfen, die sie aufschlürfen konnte. Weil sie bereits sehr geschwächt war, konnte sie den weiten Weg zu einer anderen Pflanze nicht mehr überwinden. Auch für die Schnecke war es wichtig, Schutz vor der brennenden Sonne zu finden. Da sie den Ampfer aufgefressen hatte, gab es nichts mehr, in dessen Schatten sie sich schnell genug hätte verstecken können. Auch der Boden war viel zu ausgetrocknet und ganz hart, deshalb konnte sie sich nicht darin eingraben. So hatte die Schnecke mit ihrer Gier nicht nur die Wanze, sondern auch sich selbst ins Verderben gestürzt.



Valerie Forster, Buch, Books on Demand, Cover, Das Geheimnis der Gräser



Weitere Teile dieser Buchvorstellung:

Teil 1: Die Buchidee

Teil 2: Leseprobe


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