Leseprobe
Es war ein freundlicher Wintertag Mitte Dezember, als ein dreieinhalb Monate alter Kater von einem Bauernhof bei uns einzog. Sein Fell war so weich wie Seide. Er war an Brust und Beinen weiß und vom Kopf über den Rücken bis zum Schwanzende braun und schwarz getigert. Wie alle Katzen war er eigensinnig und freiheitsliebend. Deshalb liebe ich Katzen, sie haben – genau wie ich – ihren eigenen Kopf und lassen sich von niemandem etwas befehlen. Wovon ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nichts ahnte, war die Weisheit, die der kleine Kater erlangen und mit mir teilen würde. Ich nannte ihn Nero, nach der Katze im Buch von Elke Heidenreich. Mein Kater war zwar nicht schwarz, aber er hatte ein ähnlich hohes Selbstbewusstsein wie Don Nero Corleone in jener Geschichte. Der Tag, an dem Nero in mein Leben trat, war für mich der erste schöne Tag seit einer Woche. Damals war Momo, mein fast fünfzehnjähriger Kater und Spielgefährte seit meiner frühen Kindheit, von einem Auto getötet worden.
Die neue Umgebung und die unbekannten Menschen verstörten Nero zunächst, doch schon bald erkundete er neugierig sein Reich. Nur anderen Menschen begegnete er stets zurückhaltend, teils auch ängstlich. Unsere Beziehung wurde jeden Tag enger und bald war Nero nicht mehr nur ein Kater, der bei mir lebte, sondern mein bester Freund. Er kannte mich so gut, dass ich keine Geheimnisse vor ihm haben konnte. Unsere Freundschaft wurde von vielen schönen und liebevollen Augenblicken geprägt, aber auch in traurigen Momenten waren wir füreinander da. Wir waren noch immer jung genug, die Freuden des kindlichen Spiels miteinander zu teilen, und doch auch offen für die Weisheiten des anderen. Nachdem wir einmal ausgelassen miteinander gespielt hatten und Spielzeugmäuse, Würfel, Gummikrokodil, die blaue Schnur mit der angeknoteten leeren Garnrolle und weiteres Spielzeug überall im Zimmer verteilt waren, kuschelten wir auf dem Sofa und er sprach direkt zu meinem Herzen:
"Niemand fühlt sich gerne einsam, jeder braucht einen Freund.
Darum sind Liebe und Freundschaft das Größte,
was wir einander schenken können."
Im Frühjahr eroberte Nero unseren Garten und wir spielten dort. Ich zog nun lange Grashalme oder dünne Zweige hinter mir her. Er rannte ihnen freudig nach und versuchte sie zu fangen. Ich warf auch kleine Steinchen, denen er hinterhersprang. Bald schätzten wir Naturmaterialien zum Spielen mehr als Plastikmäuse und Gummibälle. Im Spiel war Nero oft übermütig, dann machte er einen Buckel, sträubte die Schwanzhaare, senkte den Kopf, legte die Ohren an und kam mir mit kleinen seitlichen Hopsern entgegengesprungen. Nachdem er erkannt hatte, dass er mich damit zum Lachen bringen konnte, wiederholte er diese Geste immer wieder.
"Es bedarf wirklich nicht viel, jemanden zum Lachen zu bringen.
Also halte dich nicht damit zurück, anderen eine Freude zu machen."
Mein Freund Nero war sehr verschmust und liebte es, gestreichelt und gekrault zu werden. Solange er noch klein war, legte er sich bevorzugt auf meine linke Schulter in die Nähe meines Herzens und schnurrte mir etwas ins Ohr wie:
"Es gibt nichts Schöneres als die Zeit,
die man mit denen verbringt, die man liebt."
Im dritten Teil dieser Buchvorstellung geht es um Hintergründe im Buch.
Weitere Teile dieser Buchvorstellung:
Teil 2: Leseprobe
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